„Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein“

„Saram“ bedeutet auf Koreanisch „Mensch“. Mit ihrer gleichnamigen Stiftung kämpft die Schauspielerin Yvonne Yung Hee Bormann für Menschenrechte in Nordkorea. Im Interview erzählt sie, wie das von Deutschland aus geht.

Text: Ann-Kathrin Korselt

Fotografie: Christian Manthey

Institution: SARAM – Stiftung für Menschrechte in Nordkorea


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Wieso befasst sich SARAM ausgerechnet mit Menschenrechten in Nordkorea?

Obwohl ich koreanische Wurzeln habe, wusste ich früher fast nichts über Nordkorea. Mir ging es wie meinen Kollegen: Als ich von den Zuständen dort erfuhr, war ich so überwältigt und geschockt, dass ich mich dafür einsetzen wollte. Wir fanden es unglaublich, dass in Deutschland so wenig über die Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea bekannt ist. Das war zur Zeit des Machtwechsels, also Ende 2011. 2013 gründeten wir dann SARAM.

In unseren Medien hört man von Nordkorea ja fast nur, wenn es um das Atomwaffenprogramm geht. Aber was kann man von Deutschland aus überhaupt für die Menschen in Nordkorea tun?

Kämpft an mehreren Fronten für die Verbesserung der Menschenrechtslage in Nordkorea ein: Yvonne Yung Hee Bormann

Wir gehen davon aus, dass das Regime das Atomwaffenprogramm ausschließlich zum Selbsterhalt braucht. Dass es deshalb nie zu einer vollständigen Abrüstung kommen wird, Nordkorea aber auch keinen Krieg anfangen wird. Zurzeit scheint es in den Beziehungen ja eine gewisse Entspannung zu geben. Aber wir sehen es kritisch, wenn bei all den Debatten und Gipfeln die Menschenrechte nicht angesprochen oder diskutiert werden. Denn Nordkorea ist nicht egal, wie es in der Welt wirkt – und das ist eine Chance.

Man kann das an den Reaktionen auf den UN-Bericht von 2014 sehen. Danach gab es geringfügige Verbesserungen, zum Beispiel ist laut Berichten von Flüchtlingen der Status behinderter Menschen etwas besser geworden und die Foltermethoden bei Polizeiverhören sollen nicht mehr ganz so schrecklich sein. Es ist also sehr wichtig, in Gesprächen und Verhandlungen immer auch die Menschenrechte zu thematisieren. Auf diese Art ließe sich schon etwas verändern.

Ich stelle es mir schwer vor, erstmal an zuverlässige Informationen zu kommen …

Wir haben ein Netzwerk zu nordkoreanischen Flüchtlingen aufgebaut, die sich auf der ganzen Welt verteilt befinden. Wenn sich neue Flüchtlinge an diese wenden, kommen wir auch mit ihnen in Kontakt. Wir beschäftigen uns natürlich auch mit den Berichten anderer Hilfsorganisationen, haben Teile des UN-Berichts von 2014 auf Deutsch übersetzt, damit er auch hier zugänglicher ist. Dieser Bericht stützt sich auf 300 Augenzeugenberichte. Insgesamt schätzt man die Zahl an Flüchtlingen aus Nordkorea auf etwa 31.000, aus verschiedensten Berufen, Kasten und Provinzen. Wenn man ihnen zuhört und Fragen stellt, ergibt sich schon ein ziemlich umfassendes Bild.

Wie sieht die Arbeit von SARAM konkret aus?

Eins unserer Ziele ist ja, in der deutschen Öffentlichkeit ein zutreffenderes Bild der Menschenrechtslage in Nordkorea zu schaffen. Wir haben schon mehrfach geflüchtete Nordkoreaner für Vorträge und Gespräche nach Deutschland eingeladen, zum Beispiel in den Bundestag und ins Auswärtige Amt. Die Erfahrungen und Informationen dieser Menschen sollten die Grundlage für jegliche Interaktion und Auseinandersetzung mit Nordkorea bilden. Und da Deutschland diplomatische Beziehungen zu Nordkorea führt, geht es darum, diese zu nutzen, um so den Menschen dort zu helfen.

Auch sonst organisieren wir verschiedene öffentliche Veranstaltungen, zum Beispiel Gastvorträge an Universitäten in vielen Städten, eine mehrtägige Konferenz zum Thema „Menschenrechte in Nordkorea“ und zum fünften Mal ein Filmfestival in Berlin. Ansonsten: Einer unserer Mitarbeiter ist regelmäßig zwei bis drei Monate pro Jahr in Südkorea, um Kontakte zu knüpfen und mitzuarbeiten. Und Teile unseres Teams sind drei Mal nach Polen gereist, um dem Verdacht nachzugehen, dass dort nordkoreanische Zwangsarbeiter auf Schiffswerften und Baustellen unter Sklaverei-ähnlichen Zuständen und Bewachung des nordkoreanischen Geheimdienstes arbeiten mussten. Das Auswärtige Amt, mit dem wir zusammenarbeiteten, sah unsere Arbeit als erfolgreich an und die polnische Regierung hat dann auch Maßnahmen dagegen ergriffen.

„Ich darf nicht darüber reden, wie wir Flüchtlingen helfen. Zu deren Schutz.“

Leistet SARAM auch direkte Hilfe an Menschen in Nordkorea oder an Flüchtlinge?

Direkt in Nordkorea dürfen wir natürlich nicht arbeiten. Über Kontakte und Flüchtlinge, die sich in der Öffentlichkeit zeigen, helfen wir aber auch ganz praktisch Flüchtlingen aus Nordkorea, wenn sie in einer schwierigen Situation sind, zum Beispiel in China. Das ist Teil unserer Arbeit. Ich hoffe, Sie haben Verständnis, dass ich zum Schutz der Flüchtlinge darüber nichts Genaueres darüber berichten kann. Seitdem Kim Jong-Un an der Macht ist, ist der Fluchtweg über China schwieriger geworden. Es gibt an der Grenze mehr Personal, von nordkoreanischer und chinesischer Seite. China schickt die Flüchtlinge sofort zurück.

Dass Nordkorea aber dieses abgeschottete Land ist, in das nichts rein oder raus geht, stimmt nicht ganz. Es gibt Wege, durch Flüchtlinge, die schon in Sicherheit sind, Informationen und Hilfen einzuschleusen. Man muss aber sehr, sehr vorsichtig sein. Denn die im Land verbliebenen Angehörigen von Flüchtlingen sind sowieso in einer schwierigen Lage.

Man unterschätzt oft, dass auch ein Informationsfluss helfen kann. Informationen von draußen können ein Bewusstsein ändern. Etwas Geld oder eine Soap Opera auf einem USBStick sind nicht unbedeutend … Insbesondere, was die Realität von Frauen betrifft, die erstmal ein Bewusstsein über Normalität, zum Beispiel in Bezug auf sexuelle Belästigung, entwickeln müssen. Dazu gab es gerade auch einen Bericht von Human Rights Watch.

„Die Indoktrination ist in Nordkorea allgegenwärtig.“

Was wissen Sie über den Alltag der Menschen in Nordkorea?

Die Indoktrination ist allgegenwärtig. Jeder Bürger muss ein Selbstkritikbuch führen und an wöchentlichen Sitzungen teilnehmen, die den Zweck der Denunziation und Kontrolle haben. In fast jeder Wohnung ist ein Radio eingerichtet, das sich nicht ausschalten lässt, man kann es nur etwas leiser stellen. In Nordkorea sieht man häufig Menschen, die beim Gehen die Reden des aktuellen oder der vergangenen Führer auswendig lernen. Durch das Kastensystem unterscheidet sich das Leben der Menschen aber auch stark. Seit der Zeit der japanischen Kolonialbesatzung und der Guerilla-Aktivitäten Kim Il-Sungs, des späteren ersten kommunistischen Diktators, gibt es das Loyalitätsprinzip gegenüber dem Regime: Familien werden in eine der Kasten eingeordnet, je nachdem wie regimetreu sie sind.

Das gilt dann für drei Generationen. Wenn Sie in eine schlechte Kaste geboren werden und auf dem Land leben müssen, ist die Versorgungslage vermutlich wesentlich schlechter als wenn sie zur Elite gehören und in einer Stadt leben …

Was können Bürgerinnen und Bürger tun, um den Nordkoreanern zu helfen?

Nicht als Touristen nach Nordkorea reisen, denn Sie unterstützen mit ihrer Reise das Regime, weil sie Devisen ins Land bringen. Sie erfahren aber nicht, was wirklich los ist. Was sie zu sehen bekommen, ist eine Theateraufführung, zu der die Schauspieler gezwungen werden. Außerdem: Wer SARAM unterstützen möchte, sowohl finanziell als auch praktisch vor Ort, kann gerne zu einem Treffen kommen. Wir freuen uns!

UNRECHTSKATALOG

In ihren Untersuchungsberichten 2014 und 2018 werfen die UN und Human Rights Watch Nordkorea folgende Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschheit vor: Verstöße gegen die Meinungsfreiheit, die Bewegungsfreiheit, das Recht auf Nahrung und auf Leben, außerdem willkürliche Inhaftierung, Hinrichtung, Entführungen, Völkermord, Mord, Versklavung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsabtreibungen und andere sexuelle Gewalt, Diskriminierung, Verfolgung aus politischen, religiösen, rassistischen und geschlechtsspezifischen Gründen, gewaltsame Übersiedlung von Bevölkerungsgruppen, erzwungenes Verschwinden von Personen und absichtliches Aushungern.