Nummern gegen Kummer

Im Pickup-Forum geben sich Männer (und ein paar Frauen) gegenseitig Ratschläge, wie sie mit pseudowissenschaftlichen Methoden schnell zum nächsten von möglichst vielen Schüssen kommen. So weit, so bäh. Aber ist dieses Forum nicht sogar eine verkappte Selbsthilfegruppe für Beta-Wölfe auf der Suche nach Selbstwert und Liebe? Der Versuch einer Analyse ...

Text: Eveline Blohmer, Anton Tsuji

Fotografie: Luis Barreiro

Institution: Pick-up Forum


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Betrachten wir das Pickup-Forum (PuF) doch mal als einen Mann. Die Art von Mann, die hier offenbar jeder sein will: ein Alpha. Per definitionem von JON29 also ein Mann, „der sich einerseits von anderen Männern durch besondere Kompetenz und herausragende Eigenschaften in einem für Frauen emotional wichtigen Bereich abhebt, wie z.B. ein begabter Musiker, und andererseits durch Selbstsicherheit und Souveränität auszeichnet. Er nimmt die Dinge in die Hand und führt mit Souveränität, aber nicht durch Bevormundung. So wirkt beispielsweise im Club der freche aber souveräne Typ auf Frauen attraktiver als der nette aber schüchterne Kerl in der Ecke“. Wir wollen ihm an die Wäsche. Nicht, weil wir dann kichernd mit dem Finger auf seinen Penis zeigen möchten. Sondern wir möchten sehen, was unter den sorgfältig gewählten Klamotten namhafter Hersteller liegt. Wir wollen ihn nicht ficken, wir wollen verstehen, wie er tickt.

Allerdings kommt das PuF erst einmal wie ein richtiger Jerk daher, also wie einer, der sich laut PuF-Glossar „an Frauen ranschmeißt. Mit dem einzigen Ziel sie flachzulegen. Er achtet in keinster Weise auf die Gefühle der Frau. Mäßiger Erfolg, es ist einfach a Numbers Game bei ihm“. Der Impuls, sich belustigt bis angewidert abzuwenden, ist nur schwer zu unterdrücken, wenn Frauen als „Hot Babes“ von 1 bis 10, „Ugly Girls“, „Targets“ oder „Sets“ bezeichnet werden, deren abwehrendes Verhalten ein „Bitch Shield“ ist, das aber mit Techniken wie beispielsweise dem „Neg Hit“ ausgeschaltet werden kann, sodass es am Ende doch noch zum „Fuck Close“ kommen kann.

HOT BABE: Heiße Frau. Das typische Ziel eines Verführers ist ein Hot Babe (HB). Zur besseren Einstufung folgt oft eine Benotung der Frau von 1 bis 10. Wobei HB1 bis HB4 als nicht erstrebenswerte Ziele sind und in mangels einer „Hot“ Ausstrahlung als UG (Ugly Girl, hässliches Mädchen) bezeichnet werden. Ein HB5 stellt ein durchschnittliches Aussehen dar. Es wird gesagt, dass es die absolut perfekte Frau nicht gibt und damit auch kein HB10.

FUCK CLOSE: Wenn man es geschafft hat Sex mit der Frau zu haben.

BITCH SHIELD: Zickiges Verhalten von Frauen, um nicht ständig angesprochen zu werden. Frauen legen einen Filter auf um die Typen auszufiltern, die nicht die Eier in der Hose haben und sich davon ihr Game zerstören lassen. Meist steckt hinter einem BS nur Unsicherheit oder schlechte Laune.

Aber immer mal wieder blitzt etwas durch, das nicht so recht in das Bild vom durchtriebenen Stecher passen will. Da ist zum Beispiel MARC1978. Er war, so schreibt er, 20 Jahre lang verheiratet, hat drei Kinder und wurde für einen anderen verlassen. Nun hat der 40-Jährige Schwierigkeiten, eine Frau zu finden – wozu genau er eine haben möchte, schreibt er nicht. Er möchte von den anderen Forumsmitgliedern aber wissen, was er ändern solle, um eine zu bekommen. Und löst damit eine Welle von Ratschlägen aus. Sie reichen von „Komm mal weg vom Große Liebe Ding und fick ein bißchen rum. Lieben die Biester“ bis zu „So lernst du dass es ok ist du selbst zu sein“. Einer offeriert ihm auch, sich über den Themenkomplex „Scheidung, Kinder, Ex-Frau“ auszutauschen.

Die Doc Dingos, Sam Stages und wie sie sich alle nennen, graben tief in ihren Erfahrungskästchen. Dass sie MARC1978 damit helfen wollen, mindestens eine Frau in die Kiste zu kriegen, ist dabei nebensächlich. Sie wollen ihm aus seiner „Frustration pur“ helfen. Mag man in vielen Threads des PuFs den Eindruck bekommen, der Sex heilige die Mittel, scheint er hier eher Mittel zum Zweck: sich gut, begehrenswert, geliebt zu fühlen. Oder, um es mit Peaches zu sagen: „Fuck the pain away.“

NEG HIT: Das ist eine Bemerkung, bei der man ihr etwas Negatives vorhält um ihre Sicherheit zu mindern und zu zeigen, dass ihre Schönheit dir egal ist (oder andere Dinge). Es soll keine Beleidigung oder Anschuldigung sein!!! In Amerika ist das Negverhalten anders als hier in Deutschland. In Amerika sollte man 2 maximal 3 bei den hübschesten Frauen machen. Negs bei normalen Mädchen ist tödlich. In Deutschland ist das sogar bei hübschen tödlich. Unsere Frauen sind so schon unsicher genug. Da ist ein längerer Blickkontakt und sie als süß zu betiteln schon oft genug. Also übertreibt es nicht!

TARGET: Die Frau die du verführen willst.

Nach der Definition der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) ist es gemeinschaftliche Selbsthilfe, wenn sich Menschen zusammenschließen und gegenseitig helfen, die vom gleichen Problem betroffen sind. Die Mitglieder des PuFs haben oder hatten zu wenig Sex. Und sie helfen sich gegenseitig, das zu ändern. Gemeinschaftliche Selbsthilfe par excellence, oder?

Ganz so einfach ist es laut Miriam Walther, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei NAKOS und Expertin für junge sowie virtuelle Selbsthilfe, nicht: „Wer entscheidet, was Selbsthilfe ist? Wir als NAKOS sagen natürlich: Es geht darum, dass Leute einen Leidensdruck haben. Sie wünschen sich eine Verbesserung ihrer Situation und möchten sich, in der Regel zusätzlich zum Kontakt mit Fachleuten, mit Menschen austauschen, die denselben Erfahrungshorizont haben. Aber viele, die entscheiden, ihre Probleme gemeinsam mit anderen zu lösen, würden es niemals Selbsthilfe nennen. Weil ihnen das einfach unangenehm ist.“ Pickup-Forum ist denn ja auch klangvoller als Online-Selbsthilfegruppe für Sexsuchende.

Doch der Leidensdruck, von dem Walther spricht, tritt bisweilen im PuF deutlich zutage. Zum Beispiel bei TEOME. Er ist nach eigenem Bekunden zu klein, zu dick, zu nett, zu lieb. Die Biografie-Schnipsel, die sich in seinen Posts finden, lesen sich wie das Drehbuch eines Sozialdramas, wie es die Öffentlich-rechtlichen gerne um 22 Uhr senden: Eltern früh gestorben, die Jugend bei Lanpartys verzockt, seit einem Jahr arbeitslos, Schulter gebrochen. Und eben keine zum Liebhaben. „Ich hab ja schon viel ausprobiert um Frauen mal körperlich nahe zu kommen aber es klappt nie“, schreibt er. Und dass er nur Absagen kassiere, auch auf Singleseiten, wo er angemeldet sei, weil „ich ja auch primär eine feste Beziehung suche“. Auch TEOMEs Hilfegesuch wird von den anderen Forumsmitgliedern erhört und zeitigt einen elfseitigen Thread mit Ratschlägen. Die lassen zwar mitunter tiefe Einblicke zu in die geistigen Untiefen ihrer Verfasser („Du versteckst dich mit diesem Stil. Ähnlich wie hässliche Lesben. ,Ich will ja gar keinen Mann, ich stehe ja auf Frauen‘…neee, du bekommst keinen Mann, weil du hässlich bist!!! Deswegen bekommst du keinen Mann, du ranzige Leckschwester!“).

Aber die meisten Posts zeugen doch davon, dass sich die Mitglieder ernsthaft Gedanken darüber machen, wie TEOME geholfen werden kann. Im Rahmen ihrer weltanschaulichen Möglichkeiten, die sie sich eklektizistisch aus Literatur, Filmen, dem Neurolinguistischen Programmieren und den Ergüssen selbsternannter Alphas zusammenstellen. „Inner Game“, zu übersetzen mit Selbstbewusstsein, lautet das Schlagwort allenthalben und so auch bei TEOME. Daran müsse er arbeiten. Was nicht heißt, dass die PuF-Schuster nicht immer in der Leistengegend blieben. Denn ein gutes Selbstbewusstsein ist in der Pickup-Welt kein Selbstzweck: Erst mal Ego pushen, dann massenhaft Push-ups öffnen, so die Denkweise. „Pick-Up betreiben heißt also, sich attraktiv zu verhalten und damit erfolgreich bei Frauen zu sein / zu werden“, definiert JON29.

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Szenisch Aufbereitete Konversation aus einem Pickup-Forum

Wegen des Motivs der Pickup-Artists, sich hier auszutauschen, würde Miriam Walther das PuF auch nicht als virtuelle Selbsthilfegruppe bezeichnen. „Man kann es vergleichen mit Online-Foren zu Essstörungen. Bei ganz vielen geht es nicht darum, sich gegenseitig auf dem Weg der Heilung zu halten, sondern sich Tipps zu geben, wie man weiter abnimmt. Da entwickelt sich eine Abwärtsspirale, und das ist keine gemeinschaftliche Selbsthilfe.“ Heilung wovon?, fragt nun wohl der eine oder andere PuA und sollte doch besser die Fragen stellen, die im PuF nicht auftauchen: Warum lechze ich so nach dem Erfolg bei Frauen? Und wie stabil ist ein Selbstbewusstsein, das von im Bettkasten eingeritzten Strichen getragen wird? Sagen wir’s mit JON29: „Bei einigen von Euch sind die Probleme tiefgehender und Ihr schafft es einfach nicht, diese in den Griff zu bekommen. In diesem Fall nehmt Ihr bitte professionelle Hilfe in Anspruch und lasst Pick-Up erst einmal ruhen.“

UGLY GIRL: Ein hässliches Mädchen bzw. eine hässliche Frau.

GAME: Das Spiel. Das Vorgehen bei der Verführung einer Frau wird in der Community als Game (Spiel) betrachtet. Es beinhaltet alles was zur Kunst der Verführung gehört. Es kann auch als Bezeichnung der individuellen Variante einzelner genutzt werden (Mysterys Game ist ….). Nei[l] Strauss benannte sein Buch über die Pick Up Community „The Game“.

SET: Ein oder mehrere HB’s, welche angesprochen werden.

Fazit – oder die Antwort auf die Frage „Wie war ich?“: Wäre das PuF ein Mann, wäre er sicher kein Alpha. Aber auch kein reiner Jerk. Manchmal möchte man ihm zwar das überschüssige Testosteron aus dem Leib prügeln, aber meist will man ihn doch einfach nur an der Hand nehmen, ihm sagen: „Sex ist schön, aber nicht die Lösung“ und ihm den Weg zu einer richtigen Selbsthilfegruppe zeigen.