Viva Loretta

Klappe halten und zahlen: Rund 100 Schwaben ­finanzieren ­einen Verein, in dem sie nichts zu ­sagen haben. ­Fiume e.V. hat nur einen ­einzigen Zweck: die „Kultur­garage“ der ­kochenden ­Philosophin ­Loretta Petti am Leben zu halten.

Text: Stefan Schanz

Fotos: Christoph Kalscheuer

Verein: Verein: Fiume – Verein zur Förderung des Kulturbetriebs bei Loretta e.V.


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Irgendwann musste es so kommen: Nach über 20 Jahren Küche und Subkultur im leicht angeranzten Schlagschatten einer Stuttgarter Brauerei liegt sie im Herbst 2017 auf dem Tisch, die Kündigung wegen Eigenbedarf. Und um ein Haar wäre es vorbei gewesen mit dem Leben von Loretta Petti, das sie selbst ihr viertes nennt.

Ihr Leben mit der Rückennummer „4“ beginnt im Jahr 1996 mit einem kleinen Alimentari in der „Bronx von Stuttgart“, wie der Stadtteil im Süden damals genannt wird. Nicht die beste Gegend, aber das Haus Römerstraße 8 hat gute Gene: Ein Weinhandel und ein revolutionärer Drucker tränkten das Gemäuer über viele Jahre mit Kultur, Lebensfreude und einem Schuss Anarchie. Ein Ort wie geschaffen für einen Menschen wie Loretta.

Loretta Petti

Vom Acker über die Philosophie zur Unternehmerin

Loretta Petti wächst als Bauerntochter in der Toskana auf, studiert in den stürmischen Siebzigern Philosophie in Florenz und landet 1973 auf der Suche nach sich selbst und ein paar anderen Sachen in der Hegel-Stadt Tübingen. Aber erst einmal nicht oben im Turm der Philosophen, sondern unten als Hilfskraft in der Uni-Klinik. Die akademische Welt hat sie aber bald wieder, sie studiert weiter, gibt Sprachkurse und arbeitet nebenher in Stuttgart in der Erwachsenenbildung. Bei einem Urlaub in der italienischen Heimat entsteht die Idee, dort eine Sprachschule für Ausländer aufzuziehen. Gedacht, gemacht. Nach acht Jahren als Leiterin des Instituts ­„Il Sasso“ in Montepulciano wird es ihr in den alten Mauern zu eng, über frühere Kontakte landet sie schließlich wieder in Stuttgart. Vita numero quattro als Köchin und „Kulturessa“ kann beginnen.

Lauschen und Löffeln

Die Deutschen lieben Italien, Loretta mag Deutschland und beschließt, gemeinsam mit einer Freundin, ein bisschen Italia nach Stuttgart-Süd zu holen. Der kleine Laden mit eigenhändig importierten italienischen Lebensmitteln läuft zwar gut an, die Geschäftspartnerin aber bald weg. Dazu kommt, dass Edeka & Co. das Geschäft mit den italienischen Leckereien entdecken, und so ist bei Loretta bald basta mit Pasta. Ein neues Geschäftsmodell muss her. Dieses beginnt mit einem selbst gekochten Mittagstisch für die Nachbarschaft und entwickelt sich in den kommenden Jahren zum neuen Lebensmodell für Loretta und zum Über­lebensmittel für viele ihrer Gäste. Das toskanische Essen ist einfach und echt, es trifft den Geschmack der Menschen im Quartier – der Einfachen und derer, die sich das Einfache im Leben zurückwünschen. Das Interieur des Alimentari passt dazu, es ist mit „zweckmäßig“ freundlich beschrieben. Den Eingang muss man suchen, einen freien Platz meist auch. Wer zahlen will, stellt sich in die Schlange am Tresen.

Alimentari da Loretta

Der Alimentari da Loretta im Süden von Stuttgart ist ein kleines italienisches Mittagslokal mit angeschlossener „Kulturgarage“ – und eine kulinarisch-­kulturelle Institution. Den Mittagstisch mit unprätentiösen toskanischen Gerichten serviert die ­Betreiberin Loretta Petti viermal wöchentlich. Die Gästeschar reicht vom lokalen Handwerk bis zur Landesregierung – zumindest dem grünen Teil davon. Regelmäßig finden abends kulinarisch eingerahmte Konzerte, Lesungen und Vorträge statt. Gespeist wird gemeinsam an langen Tafeln. Gespielt und gelesen auf einer Bühne, die nur unwesentlich größer ist als ein Esstisch. Eine Insider-­Idylle aus schwäbisch-internationaler Kultur und dampfenden toskanischen Schüsseln, die im Herbst 2017 einen Riss bekommt: Der Vermieter meldet sich mit Eigenbedarf, Loretta soll aus den über 20 Jahre bekochten, bespielten und ­bewohnten Räumen raus. Die Kündigung kann durch tatkräftige Gäste abgewendet werden, ein eigens gegründeter Verein unterstützt seither bei den Mietzahlungen.

 

Zum Mittagstisch gesellt sich bald ein, wie Loretta selber sagt, etwas trashiges Kulturangebot des von ihr mitgegründeten Frauenvereins „Via Romana“. Der Verein überlebt die versammelte Frauenpower nicht lange, dafür intensivieren sich die Kontakte zu Schauspiel und Kunst, und so entsteht langsam ein ambitioniertes Kulturprogramm mit Lesungen, Musik und Vorträgen. Anders als in den meisten Kultureinrichtungen sind bei Loretta Küche und Kultur keine hermetisch getrennten Existenzen, sie führen im Gegenteil eine echte Liebesbeziehung mit intensivem Austausch von Lebenssäften. Entsprechend präsentieren sich auch die abendlichen Veranstaltungsreihen mit viel lautmalerischer Amore: „Jazzen & Schmazzen“, „Lauschen & Löffeln“ oder „Schmecken & Entdecken“. Kulturschaffende aus allen Ecken der Kunst und der Region (und darüber hinaus) finden ihren Weg auf die – großzügig geschätzt – fünf Quadratmeter große Bühne, die sich gleich links hinterm Herd befindet. Auf dem Weg zu den paar Handvoll Besucherplätzen muss das Publikum den Bauch einziehen und sich an Küchendampf und -chefin vorbei ins Souterrain drängeln.

 

„Alle sind nur am rennen“

Erfolgreich ist dieses Konzept wahrscheinlich gerade, weil der Alimentari da Loretta so gar nichts mit dem „kleinen Italiener um die Ecke“ zu tun hat. Keine kleinkarierten Tischdeckchen, keine olivenölige Folklore, kein Grazie-mille-Küss-die-Hand. Sondern gewachsene Heimat, echtes Leben, viel Herz. Und reichlich Verstand. Letzteren vermisst die studierte Philosophin bei manchen manchmal. Und dann kommt zum Vorschein, was Roland Weber vom Vorstand des eigens für Loretta gegründeten Fördervereins Fiume „ihr Temperamentle“ nennt. Aktuell zum Beispiel hat sie Ärger mit Schimmel. Mit dem auf ihrem Käse und mit dem vom Amt. Die Lebensmittelkontrolle ist der Meinung, dass der Schimmel nicht auf den Käse gehört. Loretta ist der Meinung, dass die Herren Kontrolleure den Taleggio nicht von einem Limburger unterscheiden können.

 

Loretta Jazz Band

Fiume – Verein zur Förderung des Kulturbetriebs bei Loretta e.V.

Mit Vereinsmeierei hat Roland Weber, der zweite Vorsitzende von Fiume e. V. eigentlich nichts am Hut. Aber jetzt geht es um Loretta. Da ist er seit vielen Jahren nicht nur Stammgast, sondern als Jazzer auch ein fester Bestandteil des Kulturprogramms. Und darum sagt er auch nicht nein, als Stefan Hahn, ein weiterer Stammgast, Ende 2017 mit der Idee einer Vereinsgründung auf ihn zukommt. Vorher hat Weber aber eine ganz andere Herausforderung zu meistern: Die Kündigung wegen Eigenbedarfs muss vom Tisch! Der ­frühere ­Verlagsmanager packt also nochmal sein ganzes Verhandlungsgeschick aus und argumentiert die Kuh vom Eis: „Dem Eigentümer des Gebäudes ist irgendwann klar geworden, dass jemand, der Loretta aus dem Haus jagt, in diesem Viertel keinen Fuß auf den Boden bekommt“, erzählt Weber. So wird aus der Kündigung schließlich eine Vertragsverlängerung um sieben Jahre. Da die Konditionen deutlich über den ökonomischen Möglichkeiten von Loretta liegen, springt der Verein ein, indem er die finanzielle Lücke für die Miete der Kulturgarage so gut wie möglich schließt. Und ja, betont Weber, der Verein ist wirklich nur für die Finanzspritze zuständig. Beim Programm mitreden oder gar ins Konzept funken will man auf keinen Fall. Denn erstens hat Loretta durchaus „ihr Temperamentle“, und zweitens soll ja alles so bleiben wie es ist. Weitere Mitglieder sind willkommen. www.fiumeperloretta.de

 

Nachgeben ist nicht so ihre Sache, andererseits kann sie es sich nicht leisten, ewig zu prozessieren. Und so wartet sie innerlich köchelnd auf das hoffentlich gute Ende der Schimmelgeschichte. Die ist eigentlich eine Kleinigkeit, vor allem im Vergleich zur gerade noch abgewendeten Eigenbedarfskündigung vom Oktober 2017. Aber „Stuttgart ist eine harte Stadt“, wie sie sagt, „alle sind nur am Rennen“, und das hinterlässt Spuren im Leben #4 von Loretta Petti. Auch wenn die Stuttgarter so gerne mit ihr jazzen und schmatzen, dass sie eigens einen Verein für sie gegründet haben, auch wenn sich Kultur und Gäste wie zu Hause fühlen in der Römerstraße 8 – es klingt ein wenig so, als ob Lorettas fünftes Leben ein ruhigeres werden würde. Ob sie schon ein konkretes Rezept dafür hat, will sie nicht verraten, auch wenn das jüngst erschienene erste Kochbuch aus ihrer Feder ein Hinweis sein könnte. Aber wie auch immer: Viva Loretta! 

 

Loretta Adresse

Alimentari di Loretta

Römerstraße 8

70178 Stuttgart-Süd

0711 6494804

lorettapetti@aol.com

daloretta.over-blog.de