Stuttgart feiert die Welt

Fast die Hälfte der Stuttgarter hat ausländische Wurzeln. Und siehe da, das Zusammenleben klappt! Nirgends wird das so deutlich wie beim Sommerfestival der Kulturen jedes Jahr im Juli. Eine eingeschworene Truppe des Forums der Kulturen Stuttgart e.V. stellt die Großveranstaltung auf die Beine.

Text: Monika Unkelbach und Tina Hofmann

Illustration: Stephanie Dierolf

Verein: Forum der Kulturen Stuttgart e. V.


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Die hämmernden Beats von Soweto Soul schallen aus den Boxen. Ihr Mix aus Pennywhistle-Jive und Mbaqanga über die südafrikanische Housevariante Kwaito bis hin zu Hip-Hop geht in die Beine und für die Menschen vor der Bühne gibt es kein Halten mehr. Ältere und Junge, Ökos und Hipster, Gruppen und Einzelne aus aller Herren Länder wiegen sich im Takt der Musik, klatschen in die Hände und singen mit.

Anja Krutinat steht am Seiteneingang der Bühne und blickt von ihrem erhöhten Platz über die Menge. Hinter den Tanzenden reihen sich Biertischgarnituren aneinander, an denen sich dicht an dicht Festbesucher drängeln. Andere stehen plaudernd an Essens- und Getränkeständen an. Die bunte Menge füllt den ganzen Platz. Es ist ein vielfältiges und friedliches Bild, das sich ihr bietet, und für Anja sind die sechs Tage Festival Belohnung für die monatelange Organisationsarbeit, die hinter ihr und ihren neunzehn Kolleginnen und Kollegen des Forums der Kulturen Stuttgart e. V. liegen. Aber fangen wir von vorne an.

Der Start

Im August, kurz nach dem Sommerfestival, überwiegt in den Büroräumen des Vereins eine Art erschöpftes Resümieren: Was lief gut? Wo hat es gehakt, wie können wir es nächstes Mal besser machen? Und dann sind da natürlich die Berge von Rechnungen, die geprüft, freigegeben und bezahlt werden müssen. Viel Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. Schon wenige Wochen nach dem Festival gilt wieder: Ärmel hochkrempeln.

Eine gewisse Routine haben die Veranstalter nach 17 Jahren schon. Rolf Graser, Geschäftsführer des Forums, und Anja Krutinat, Teamleiterin Kommunikation, waren von Anfang an dabei. Bei ihnen laufen die meisten Fäden zusammen. „Aber nur gemeinsam mit einem hoch motivierten Team ist die Organisation des Festivals zu stemmen“, erklärt Rolf. „Den Marktplatz buche ich schon eineinhalb Jahre im Voraus. Wichtige Partner, wie Lieferanten für die Zelte, die Bühne und die Getränke, informiere ich im Herbst über den genauen Termin im Sommer“, sagt Anja. Aber das sind nur einige Punkte der umfangreichen Checkliste, die sie und ihr Team abarbeiten.

 

Das Team des Forums der Kulturen e. V.

#1
Speis und Trank

Anfang Januar startet die Aussendung für die Anmietung von Essens- und Infoständen an die Vereine. Beteiligen können sich neben den Mitgliedervereinen des Dachverbands auch alle anderen Migrantenvereine in Stuttgart. „Allerdings ist die Anzahl der Stände begrenzt und der Andrang groß. Wir versuchen deshalb, mit einem rotierenden System möglichst vielen die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen“, erzählt Anja. Manche Vereine bewirtschaften einen Stand nur an einem Tag, andere sind mehrere Tage vertreten. Die Wechsel sind eine logistische Herausforderung für alle, aber nur so ist es möglich, dass sich rund 60 Vereine beteiligen. Entsprechend vielfältig ist das kulinarische Angebot, das die Besucher erwartet. Es gibt orientalische, afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Speisen genauso wie Spezialitäten der europäischen Küche.

#2
Der Markt der Kulturen

Zu den Essensständen können die Vereine im Zentrum des Marktplatzes auch Infostände anmieten, an denen sie Besuchern ihre Arbeit und ihr speziellen Anliegen näherbringen. 2011 kam außerdem der Markt der Kulturen in den Seitenstraßen des Marktplatzes mit Kunsthandwerk aus aller Welt hinzu. Neben professionellen Verkäufern finden sich hier auch Stände von Vereinen, die Schmuck, Holzfiguren oder Körbe feilbieten. Den Besuchern gefällt’s. „Der Markt der Kulturen ist in den letzten Jahren beständig gewachsen und die Buden sorgen zwischenzeitlich auch in den Seitenstraßen des Platzes für Festivalflair“, erzählt Suzana Miskovic, die für diesen Part des Festivals zuständig ist.

 

Beim Sommerfest der Kulturen spielt es keine Rolle, wer du bist und woher du kommst.

Vera Gregovic (66), Serbischer Humanitärer Kulturverein Morava e. V.

„Mit dem Serbischen Humanitären Kulturverein Morava e. V. wollen wir unsere Wurzeln erhalten und weitergeben. Meine Generation war die erste, die aus Serbien nach Deutschland kam. Unsere Kinder und Enkelkinder sollen wissen, was unsere Kultur ausmacht. Wir proben mit dem Chor, die Kinder tanzen Folklore. Die Älteren sitzen zusammen, trinken Kaffee und essen Kuchen. Natürlich gibt es auch Sliwowitz, Serben brauchen immer Sliwowitz. Außerdem unterstützt unser Verein humanitäre Hilfsaktionen in der Heimat.

Für meinen Verein ist es ein wichtiges Forum, um unsere Kultur zu präsentieren. Deswegen sind wir seit dem allerersten Sommerfestival 2001 dabei. Wir haben dort sechs Tage lang einen Stand mit serbischen Spezialitäten wie Cevapcici, gefülltes Fladenbrot, Sauerkrautwickelrollen mit Hackfleisch oder Djuvec-Reis. Alles lecker! Mit Prospekten über Serbien an unserem Stand zeigen wir den Leuten, wie schön und vielseitig unser Land ist. Letztes Jahr kam ein Ehepaar zu uns, um sich zu bedanken. Sie hatten im Jahr zuvor einen Prospekt über eine Donaureise mitgenommen und erzählten uns jetzt, wie wunderschön ihr Urlaub war. Da habe ich mich so gefreut!“
 

 

#3
Finanzierung sicherstellen

Die Vereine bezahlen eine kleine Standmiete, aber die meisten Fixkosten rund um die Infrastruktur — Wasseranschlüsse, Strom, Abfallbeseitigung — werden aus der Kasse des Forums der Kulturen beglichen. Eine zentrale Rolle bei der Finanzierung des Festivals spielt der Getränkeausschank. Und die Suche nach Helfern für diese Stände ist eine besondere Herausforderung: Da müssen Schichten eingeteilt sowie Teams zusammengestellt und koordiniert werden. Für jeden Tag und zu unterschiedlichen Uhrzeiten werden Helfer für insgesamt vier zentrale Getränkestände gebraucht, die Bier, Wein, Softdrinks und Mineralwasser ausschenken, kassieren, Gläser spülen und für Nachschub sorgen — insgesamt helfen rund 300 Freiwillige mit. „Da heißt es im Vorfeld viel bitten, überreden, schmeicheln, planen, verschieben und verteilen. Vor allem für die Wochentage ist die Suche schwierig, weil die meisten berufstätig sind“, erzählt Anja.

#4
Sponsoren und Unter­stützer

Geld in die Kasse bringen auch die die Verkäufer der Lose für die Tombola, die über den Platz gehen. Sie sorgen auch dafür, dass sich bereits Monate vor der Veranstaltung Gewinne wie Kulturgutscheine, Bücher oder DVDs im Büro des Forums stapeln. Für diese Arbeit ist besonderes Engagement gefragt, denn nicht jedem liegt es, potenzielle Spender abzuklappern und um Preise zu bitten.

Trotz großem ehrenamtlichem Engagement sind die Kosten des Festivals hoch: Rund 70.000 Euro galt es 2017 zu berappen. Als Dachverband der Migrantenvereine Stuttgarts erhält das Forum der Kulturen zwar eine Förderung durch die Stadt, kann aber nur einen Teilbetrag für das Festival verwenden. Überwiegend sind die Fördergelder an Projekte und somit an klare Aufgabenstellungen gebunden. Deshalb heißt es auch in Sachen Finanzierung „Klinken putzen“ — in diesem Fall bei Sponsoren. „Es gibt Gott sei Dank Sponsoren, die sich jedes Jahr beteiligen, aber in Stein gemeißelt ist keines der Engagements“, sagt Anja. Neben in Stuttgart ansässigen und überregional agierenden Firmen unterstützen auch Institutionen wie Brot für die Welt, das Institut Français, das Deutsch-Türkische Forum oder das Istituto Italiano di Cultura das Sommerfestival.

 

Wer kein Feind ist, könnte ein Freund sein.

Dibyendu Choudhuri und Arup Banerjee (77), Indischer Verein Bharat-Majlis e. V.

Bharat-Majlis ist einer der ältesten indischen Vereine in Deutschland, uns gibt es bereits seit 1953. Er soll vor allem beim Ankommen in Deutschland helfen und die Freundschaft mit Deutschen fördern. In Indien sagt man: „Wer kein Feind ist, könnte ein Freund sein.“ Das Forum der Kulturen und das Sommerfestival haben uns sehr geholfen, dieses Motto zu leben. Durch das Festival haben wir einen engen Kontakt zu anderen indischen Vereinen und vielen Einheimischen.

Es hat uns aber auch die Tür zu anderen Ländern und Kulturen geöffnet. Wir haben so viele verschiedene Menschen kennengelernt und sind eine Familie mit Rumänen, Indonesiern und Koreanern geworden. Auf dem Sommerfestival haben wir immer einen Stand mit vegetarischem Pakora, das ist frittiertes Gemüse im Teigmantel. Das wollen alle probieren. Es bilden sich immer lange Schlangen, auch die internationalen Musiker wollen alle indisch essen. Die sechs Tage am Stand sind zwar anstrengend, aber es macht uns auch sehr viel Spaß, dort neue Leute kennenzulernen und Freundschaften zu pflegen.“
 

 

#5
Musiker buchen

Erstklassige Weltmusik war von Anfang an der Publikumsmagnet des Festivals. Verantwortlich für die Auswahl ist „Mr. Weltmusik“ Rolf Graser. Er etablierte schon vor rund 30 Jahren Weltmusik in Stuttgart, damals noch im Kulturzentrum Laboratorium. Über die Jahre hat er sich ein umfangreiches Netzwerk an Agenturen aufgebaut. Und die Leute dort wissen ganz genau, was er sucht: starke Bands mit besten Livequalitäten aus aller Welt. Neben tanzbarer Musik gibt es auch ruhigere Töne. Denn obwohl Tanzkracher vielleicht mehr Gäste anlocken und damit den Getränkeumsatz erhöhen würden, ist Rolf vor allem eine interessante und spannende Mischung aus Stilen, Ländern und Kontinenten wichtig.

Und da hat er die Qual der Wahl: Aus rund 400 Bands wählt Rolf seine Favoriten aus. Dazu hört er sich unzählige Demobänder und Hunderte YouTube-Videos an, bevor er sich entscheidet. „Natürlich haben wir unsere finanziellen Grenzen. Manche Bands sind zu teuer für uns, bei anderen scheitert es an den Reisekosten, die wir übernehmen müssten. Zehn Bandmitglieder aus Südafrika einzufliegen, ist eben einfach nicht drin“, bedauert Rolf. Praktisch ist es also, wenn eine Band ohnehin auf Tour und daher in der Nähe ist. Wenn ihm allerdings ein Gig besonders am Herzen liegt, sucht er speziell dafür auch schon mal die Unterstützung durch einen Sponsor, der dann eine Art Patenschaft für den Künstler übernimmt und neben der Gage auch die Reisekosten finanziert.

#6
Sicherheitskonzept aufstellen

Die Veranstalter sind sich einig: Nirgends wird so friedlich gefeiert wie auf dem Sommerfestival der Kulturen. Das Thema Sicherheit spielt bei der Planung trotzdem eine große Rolle. Zwar waren schon immer Ordner unterwegs, doch in den letzten beiden Jahren war auch ein zusätzlicher Sicherheitsdienst im Einsatz. „Ich stehe in engem Austausch mit den Organisatoren des Christopher Street Day und der Aids-Hocketse — wir haben ganz ähnliche Fragestellungen“, erklärt Anja.

Sicherheitskonzepte, die festlegen, welche Abläufe im Notfall wann in Kraft treten, wer im Falle eines Falles welche Entscheidungen trifft und wann und wie der Platz geräumt werden kann, liegen daher bereits in der Schublade. Absperrgitter, um Personen zu kontrollieren, können auf dem öffentlichen Platz nicht aufgestellt werden, selbst wenn die Veranstalter es wollten. „Das ist der Preis der Freiheit“, sagt Anja. „Man kann nicht alles überwachen.“

 

Ich spüre immer dieses selbstverständliche Zusammengehörigkeitsgefühl.

Nadine Bartels (39), Freunde des Forums der Kulturen e. V.

„Ich bin im Jahr 2009 aus Freiburg nach Stuttgart gezogen und nun zum siebten Mal beim Sommerfestival der Kulturen dabei. Das Festival bot mir die Gelegenheit, mich gleich in die Gestaltung der Stadt einzubringen, in der ich jetzt lebe. Es ist ein tolles Symbol dafür, wie vielfältig Stuttgart ist und wie bereichernd diese Vielfalt sein kann. Ich arbeite beim Land Baden-Württemberg an Konzepten zur Integration. Beim Sommerfestival kann ich sie aktiv mitgestalten. Nirgends spüre ich dieses selbstverständliche Zusammengehörigkeitsgefühl so stark wie beim Sommerfestival. Ich bin immer fünf Tage dort und helfe vor allem bei den Getränkeständen und an den Kassen des Forums.

So kam ich im Gründungsjahr 2012 auch zum Verein Freunde des Forums der Kulturen e. V., in dem ich inzwischen im Vorstand bin. Der Freundeskreis hat 82 Mitglieder, die das Forum der Kulturen und seine vielfältigen Projekte unterstützen. Einmal im Monat treffen wir uns und besprechen, welche Initiativen und Projekte es gerade gibt und wo wir mithelfen können. Die Mitglieder mit und ohne Migrationshintergrund eint die Wertschätzung von Vielfalt und das Ziel, sie zu bewahren.“
 

 

#7
Aufbauen, Abbauen, Aufbauen…

Der größte Kraftakt — zumindest für die Muckis — erwartet die Helfer kurz vor dem Festival und an den Festivaltagen selbst: der Auf- und Abbau der Stände, der riesigen Bühne sowie der Bierbänke und Tische. Circa 45 Ehrenamtliche packen hier mit an. Weil der Wochenmarkt am Dienstag, Donnerstag und Samstag auf dem Marktplatz stattfindet, müssen die Festivalhelfer bei einem Großteil des Equipments sogar täglich ran. In den Nächten vor dem Markt bauen sie Tische, Bänke und Teile der Zelte ab und stellen sie nach dem Ende des Marktes wieder auf. „Das ist stressig und umständlich, aber nicht zu ändern. Der Marktplatz ist eben ein öffentlicher Platz“, sagt Anja und zuckt mit den Schultern.

Und von vorne!

Der ganze Stress für ein bisschen feiern? „Nein“, sagt Anja. „Es ist uns und den Vereinen ein großes Anliegen, dass das, wofür wir stehen — Vielfalt und interkultureller Dialog — mitten in Stuttgart sichtbar wird.“ Das werden die Besucher auch 2018 spüren. Möglich gemacht haben es Hunderte freiwillige Helfer, rund 60 Migrantenvereine — und die kleine Idealistentruppe des Forums der Kulturen.

Das Forum der Kulturen e. V.

ist der Dachverband von 112 der über 300 Migrantenvereine, die es in und rund um die Landeshauptstadt gibt. Das Aufgabengebiet ist riesig. Kulturfestivals, Workshops, Info-Veranstaltungen, Tagungen — alles rund um den inter­kulturellen Dialog — sind nur einige der Punkte auf der Agenda des Forums. Ein besonderer Höhepunkt ist das jährliche Sommerfestival der Kulturen auf dem Stuttgarter Marktplatz, das 2001 zum ersten Mal stattfand und heute eine feste Hausnummer unter den zahlreichen Kultur­ver­anstaltungen der Landeshauptstadt ist. Bei freiem Eintritt erlebt ein bunt gemischtes Publikum Mitte Juli sechs Tage lang Stars der internationalen Weltmusikszene und genießt Kulinarisches aus aller Welt.