„Wir wollen Aha-Erlebnisse schaffen“

Maria Tramountani will mit Worten Brücken bauen: Im Interview spricht die Gründerin des Projekts „Literally Peace“ über Perspektivwechsel, die Wichtigkeit von Begegnungen und die Schwierigkeit, ein Herzensprojekt für ein Team zu öffnen.

Text: Julian Stutz

Projekt: Literally Peace

Foto | Literally Peace

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Was war der Anstoß für Literally Peace?

Das Projekt ist eine gemeinsame Idee von Hazem Raad und mir. Hazem ist ein Autor, Architekt und Übersetzer, den ich im Herbst 2016 bei einem Schreibwettbewerb für Europa und den Mittelmeerraum in Barcelona kennengelernt habe. Mir war anfangs gar nicht bewusst, dass er Syrer ist. Wir waren uns einfach sympathisch und unterhielten uns über alles Mögliche. Irgendwann kam heraus, dass er aus Syrien kommt und es gar nicht so einfach für ihn war, nach Barcelona zu reisen. Auf einmal erschienen die Themen, über die wir vorher ganz unvoreingenommen geredet hatten, in einem völlig anderen Licht: die Uni, die Party, der ganz normale Alltag eben.

Maria Tramountani, Gründerin des deutsch-syrischen Projekts „Literally Peace. (Foto | Soulprint Fotodesign)

Das war für mich ein echtes Aha-Erlebnis. Ich arbeite seit rund vier Jahren mit Geflüchteten. Da war immer ganz klar, dass ich die Sozialarbeiterin bin und die Geflüchteten Hilfe brauchen. Mit Hazem dagegen kam direkt eine Unterhaltung auf Augenhöhe zustande. In diesem Moment habe ich verstanden, dass es in Syrien natürlich den furchtbaren Krieg, das Leid und Zerstörung gibt, aber auch ein alltägliches, normales Leben.

Wie ist aus dieser Begegnung ein Projekt geworden?

Nach unserer ersten Begegnung haben wir den Kontakt gehalten und sind in unseren Gesprächen irgendwann auf die Idee gekommen: Lass uns eine Handvoll syrischer und deutscher Autoren zusammentrommeln, um über literarische Texte neue Perspektiven zu eröffnen und damit anderen Leuten ähnliche Aha-Erlebnisse zu bieten, wie ich sie durch die Begegnung hatte. Die Teilnehmer des Projekts sind größtenteils keine professionellen Autoren, sondern einfach Menschen, die gerne schreiben. Dann starteten wir mit unserer Homepage – zehn Texte von zehn Autoren, so ging das los.

Über welche Themen schreiben die Autoren auf dem Blog?

Das ist ganz unterschiedlich: über Liebe, Freundschaft, Trauer, Frieden, Krieg, den Alltag… Gerade bei unseren syrischen Autoren geht das oft auch gegen die Erwartungshaltung der Leser. Bei Lesungen bekommen wir dann häufig das Feedback, dass die Gäste gar nicht wussten, ob der Text von einem deutschen oder syrischen Autor kommt. Da darf man die Erlebnisse aber auch nicht verfälschen, nur weil Leute erwarten, dass da noch irgendwo eine Bombe einschlägt. Wir haben auch Autoren, die sagen, dass sie bewusst nicht über Krieg schreiben wollen, weil das erwartet wird und, weil sie zeigen wollen, dass es da auch noch mehr gibt.

„Wir haben auch Autoren, die bewusst nicht über Krieg schreiben wollen, weil das erwartet wird und, weil sie zeigen wollen, dass es da auch noch mehr gibt.“

Wie wichtig ist es dir, das Projekt vom Internet auch in die reale Welt zu bringen?

Es ist wichtig, dass wir über den Blog auch Menschen außerhalb Stuttgarts erreichen und vor allem auch Leser in Syrien. Unsere Erfahrung ist allerdings, dass der Blog nicht so wahnsinnig viel gelesen wird. Da braucht man schon viel Zeit, Muse und Interesse. Eine Veranstaltung wie eine Lesung hat da schon einen ganz anderen Reiz. Darüber erreichen wir ein neues Publikum und bekommen auch viel direkteres Feedback, als über die Kommentarfunktionen auf dem Blog und auf Facebook. Das ist unbezahlbar.

Wie werden die Lesungen organisiert?

Wir stellen unsere Lesungen jeweils unter ein Motto wie zum Beispiel „Liebe“, „Diskriminierung“, „Superhelden“ oder die die nächste Lesung im Herbst „Heimat“. Wir kündigen das dann für alle im Projekt an und fragen, wer hat Lust was zu schreiben und ob er oder sie dabei sein will und kann. Vor Ort sind wir dann meistens fünf bis sechs Autoren und ein, zwei Musiker, die die Veranstaltung begleiten. Bei der letzten Lesung hat sich ein Autor via Skype zugeschaltet. Das war toll, weil wir so nochmal eine ganz andere Dimension in die Veranstaltung gebracht haben.

Lesungen ermöglichen es Literally Peace, auch auf der persönlichen Ebene mit Menschen in Kontakt zu treten. (Foto | Literally Peace)

Welchen Stellenwert hat das Projekt in deinem Alltag?

Das ist inzwischen schon kein Hobby mehr. Es ist unterschiedlich, wie viel Zeit ich investiere. Mal stecke ich nur zwei Stunden pro Woche rein, dann gibt es auch Wochen, in denen ich 15 Stunden investierte, gerade vor Lesungen oder wenn wir neue Autoren haben. Und das alles neben einem Vollzeitjob. Als das Projekt losging, hatte ich einen Vollzeitjob und schrieb noch an meiner Masterarbeit. Da war Literally Peace immer mein Prokrastinationsprojekt. Im Vergleich zu dieser Zeit ist es jetzt schon entspannter, aber das Projekt wird immer größer, zu groß für mich alleine. Deshalb wollen wir auch einen Verein gründen.

Was versprecht ihr euch davon?

Das Projekt entstand aus der Idee von Hazem und mir. Er ist dann aber aus persönlichen Gründen sehr schnell ausgestiegen. Das war echt krass für mich, weil er auch den Kontakt zu den Syrern hatte und wir vieles gemeinsam organisiert haben. Dann hing erstmal alles an mir. Mittlerweile besteht das Projekt aus einem großartigen Team von Übersetzern, Grafikern, Recruitern sowie Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsarbeit und die Organisation. Dadurch ist Literally Peace nicht mehr nur „mein“ Projekt, sondern „unser“ Projekt. In einer Vereinsstruktur wird es uns hoffentlich noch besser gelingen, die vielfältigen Personen, unterschiedlichen Talente und Fähigkeiten zusammenzubringen. Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass man als eingetragener Verein auch einfacher an Förderungen kommt und ernster genommen wird.

„In einem Verein wird es uns hoffentlich leichter fallen, unterschiedliche Talente und Fähigkeiten zusammenzubringen.“

Welchen Herausforderungen begegnest du bei diesem Prozess?

Formell ist der Prozess, ein Verein zu werden gar nicht so schwierig: Am Ende braucht man sieben Personen, eine Satzung und das war es dann schon fast. Dass Literally Peace von meinem Baby zu unserem Projekt wird, das wir gemeinsam tragen, das wird die viel größere Herausforderung. Mein erster Impuls ist bei Fragen immer zu sagen, wie ich es gerne machen würde. Da nehme ich mich jetzt aber schon bewusst zurück und bringe mich dazu, auch die anderen zu fragen.

Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?

Neben der kontinuierlichen Weiterentwicklung gibt es zwei konkrete Dinge, die wir umsetzen möchten. Wir haben einen Filmemacher in Damaskus und einen in Stuttgart und die würden gerne zusammen mit uns was machen. Die Idee ist ein Film, der auf einem Text basiert, den wir gemeinsam schreiben. Das zweite Vorhaben ist eine Kunstaustellung im Januar im Kulturkabinett in Bad Cannstatt, in dem wir auch unsere Lesungen veranstalten. Dafür werden Künstler Bilder zu unseren Texten zu malen oder wir werden Texte zu deren Bildern schreiben. Das ist nochmal eine andere Ebene mit einer anderen Kunstform. Es freut mich, dass das Projekt so nochmal in eine andere Richtung geht. Diese Offenheit war uns immer wichtig.

https://literallypeace.com