„Wenn wir Sozial­unter­nehmer vernetzen, können wir die Welt verändern“

Aus Enttäuschung über die klassische Entwicklungshilfe gründete Benjamin Wolf die Stiftung Stay. Uns erklärt er, was seiner Meinung nach bisher falsch läuft und wie echte Hilfe zur Selbsthilfe aussieht.

Interview: Tina Hofmann

Fotografie: Christoph Kalscheuer

Organisation: Stay – Stiftung für multiplikative Entwicklung


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Herr Wolf, Sie gründeten im Jahr 2013 die Stiftung Stay als Alternative zur klassischen Entwicklungsarbeit. Warum?

In den letzten 50 Jahren gab es schlicht keine nachhaltige Entwicklungshilfe. Die westlichen Industriestaaten haben in dieser Zeit sechshundert Milliarden US-Dollar in die Region Subsahara-Afrika geschickt, doch die Bruttoinlandsprodukte der Länder haben sich halbiert. Die meisten Projekte brachten also keine dauerhaften Ergebnisse.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das liegt vor allem daran, dass durch Hilfsprojekte aus dem Westen die Eigeninitiative der Menschen vor Ort untergraben wird. Wenn Experten von außen kommen und eine Lösung aus ihrem Blickwinkel entwickeln, birgt das zwei Probleme: Zum einen kennen sie die Geografie, die Sprache und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort nicht. Zum anderen identifizieren sich die externen Experten stark mit dem Projekt, die Einheimischen jedoch nicht. Wenn die Hilfsorganisationen dann das Land verlassen oder die Finanzierung endet, tragen die Menschen vor Ort das Projekt daher nicht oder nicht in gewünschtem Maß weiter.

Ich war selbst viele Jahre ehrenamtlich in der Entwicklungshilfe tätig und habe die Probleme gesehen. Am Anfang war es gar nicht mein Ziel, eine eigene Stiftung zu gründen. Ich wollte nur das „ideale Projekt“ finden. Doch als ich das auch nach zwölf Jahren noch nicht gefunden hatte, wuchs der Druck, selbst etwas auf die Beine zu stellen.

Wie unterscheidet sich das Konzept der Stiftung Stay von der klassischen Entwicklungshilfe?

Wir – also ich und eine Handvoll Freunde, mit denen ich Stay gegründet habe – haben uns gefragt, wer Konzepte entwickeln kann, die auch nach der Förderdauer überlebensfähig sind. Und unsere Antwort lautete: einheimische Sozialunternehmer. Das sind Menschen, die eine eigene Organisation aufgebaut haben und bereits zeigen konnten, dass sie ihre Dorfgemeinschaften mobilisieren können. Das Sozialunternehmen ist ihr Baby, für das sie das ganze Risiko tragen. Damit haben sie eine ganz andere Identifikation und eine enge Bindung zu ihrem Projekt. Diese besteht auch zu ihrer Gemeinde, ihrem Dorf und ihrem Land.

Wir unterstützen Gründer, die seit mehr als drei Jahren in einem der Bereiche Gesundheit, Bildung oder Einkommen erfolgreich sind. Nur wenn diese drei Grundbedürfnisse gleichzeitig erfüllt werden, kann sich für eine Familie, ein Dorf oder für eine ganze Gesellschaft wirklich etwas ändern. Zudem müssen die Sozialunternehmer mindestens fünf Mitarbeiter haben, in ländlichen Gebieten arbeiten und nachweisbare Ergebnisse in ihren sozialen Projekten vorweisen können.

Und die bauen dann Brunnen, Schulen oder Krankenhäuser?

Nein, denn hier kommen wir zum zweiten großen Unterschied. Wir investieren nicht in Objekte, denn die scheitern ohne Finanzierung der laufenden Kosten. Wir investieren in Menschen und ihr Know-how. Mit unseren Stipendien fördern wir die Ausbildung Einheimischer zu Krankenschwestern, Lehrern oder Einkommensförderern in ihren Dörfern. Eine Krankenschwester kann 95 Prozent der medizinischen Fälle auf dem Land abdecken – und das ganz ohne Krankenhaus im Rücken. Außerdem sind die Menschen wichtige Multiplikatoren, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten weitergeben können.

Das Wichtigste aber ist: Wir bringen die Sozialunternehmer in einem landesweiten Netzwerk zusammen, damit sie voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen und kooperieren. Wir glauben, dass wir jedes Land der Welt verändern können, wenn wir nur die sozialen Führer vernetzen.

Für Ihr Pilotprojekt haben Sie sich Uganda ausgesucht. Warum gerade dieses Land?

Das hatte ganz pragmatische Gründe. Wir wollten ein Land, das in unserer Zeitzone liegt, weil das Telefonkonferenzen und Reisen wesentlich vereinfacht. Daher haben wir uns zuerst für Afrika als Kontinent entschieden. Unter den 52 Ländern suchten wir dann nach einem Land aus dem Mittelfeld, das mit anderen afrikanischen Ländern vergleichbar ist. Uganda bringt die politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Voraussetzungen für eine Entwicklung mit, die bleibt. Außerdem fanden wir hier schnell erste geeignete Partner.

Wie können sich die Sozialunternehmer dort gegenseitig helfen?

Im Dachverband, der „LATEK Stay Alliance Uganda“, sind 32 Sozialunternehmer zusammengefasst. Die Gemeinschaft und das Zugehörigkeitsgefühl gibt ihnen viel Kraft. Bislang waren sie in ihrem Viertel oder in ihrem Dorf die einzigen, die für eine gute Sache kämpften. Jetzt merken sie: Sie sind nicht allein und können gemeinsam das ganze Land erreichen.

Sie helfen sich aber auch ganz praktisch, wenn zum Beispiel eine Gesundheitsstation und eine Schule in der Region kooperieren oder sich gegenseitig fachlich beraten. Außerdem haben sie ein Komitee gebildet, das über die Vergabe der Stipendien von Stay entscheidet. Das gibt ihnen viel Entscheidungsspielraum und sorgt für Identifikation und Nachhaltigkeit. Gemeinsam lernen sie von Erfolgen und Misserfolgen. Im Unterschied zu Projekten von westlichen Hilfsorganisation bleibt hier das ganze Know-how bei den einheimischen Sozialunternehmern. Auch politisch gesehen ist der Verband wichtig. Sie können jetzt als NGO mit einer Stimme sprechen und werden als politischer Akteur wahrgenommen.

Wie sieht es in Deutschland aus? Können Sie und Ihre Mitarbeiter von Stay leben?

Für Stay arbeiten, neben mir, mehrere Teamleiter auf 450-Euro-Basis und rund 60 ehrenamtliche Mitarbeiter. Davon leben können wir nicht. Ich verdiene mein Geld als freiberuflicher Trainer und Berater im Bereich Personalentwicklung.

Was sind die nächsten Schritte der Stiftung Stay?

Wir wollen das Projekt auch in anderen Ländern verbreiten. Wir starten jetzt in Kenia. Gerade war ich dort drei Tage, um Bewerbungsgespräche mit potentiellen Partnerorganisationen und Mitarbeitern zu führen. Auch in Ruanda wollen wir spätestens nächstes Jahr starten. Gerne möchten wir das Projekt auch auf andere Kontinente übertragen. Dafür suchen wir Unternehmen, Institutionen oder private Förderer, die eine gute Beziehung zu einem Land haben und dort Kontakte für uns herstellen können.

Und was sind ihre langfristigen Ziele?

Die klassische Entwicklungshilfe ist für uns das Problem, nicht die Lösung. Deswegen möchten wir den großen Tanker der Hilfsindustrie in eine andere Richtung lenken. Wir sind zwar nur eine kleine Stuttgarter Stiftung, aber wir sind mit einem tollen Projekt angetreten. Daher ist es unsere Vision, die Arbeit der ganzen Branche zu verändern. Wir möchten, dass andere Hilfsorganisationen unserem Beispiel folgen und den Einheimischen mehr vertrauen. Unser Auftrag ist erfüllt, wenn die Menschen in Entwicklungsländern die Entwicklung komplett selbst in die Hand genommen haben.

Um die Armut abzuschaffen, soll es ein Portal geben, mit dem Menschen aus dem Westen die einheimischen Akteure unterstützen können. Dafür ist die Stay Alliance eine gute Option. Das Ziel ist es, den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen, mit Zugang zu Gesundheit und Bildung und der Freiheit, wichtige Entscheidungen selbst zu treffen.

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2 Meinungen zu “„Wenn wir Sozial­unter­nehmer vernetzen, können wir die Welt verändern“

  1. Ihre Begeisterung für Ihren Einsatz in Verbindung mit den meiner Meinung nach richtigen Ideen für eine nachhaltige und vor allem dauerhafte Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in Uganda hat mich sehr beeindruckt. Ich befürchte nur, dass Ihre Arbeit von unserer Regierung so gut wie nicht zur Kenntnis genommen und deshalb auch nicht untersrützt wird.

    1. Lieber Herr Eisgruber, vielen Dank für Ihren Kommentar. Ja, das ist richtig, bisher sind wir da noch unter dem Radar. Dies liegt zum Beispiel daran, dass wir mit unserer Projektart (noch) nicht gut in die Förderprogramme des Bundes passen (und auch noch Ehrenamtliche oder Mitarbeiter suchen, die sich gezielt solchen Kooperationen widmen). Oder auch daran, dass die Größe des Projektes noch nicht die auf Regierungsebene interessante Dimension erreicht hat. Wir sind aber zuversichtlich, dass es wirklich nur ein „noch“ ist – und wir beides ändern können. Herzliche Grüße!

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